Worte über Weimar
Man muß sich über alles
setzen, um nicht zermalmt zu werden, und von der Höhe seiner Größe
herab sich wohl vorstellen, daß die Menge nur aus Unvernünftigen
und Dummköpfen zusammengesetzt ist
Frédéric Soret am 17. März
1830 im Gespräch mit Göte
Aber ich
habe immer etwas gegen diese dramatischen Dichter, die dem Theater zu
lange Stücke anbieten, als daß man sie aufführen könnte,
so wie sie sind; sie nehmen mir dadurch die Hälfte der Freude, die
ich daran haben könnte; sehen Sie, was für einen dicken Band
›Gemma‹ macht !
Schiller machte es ebenso und war doch
ein großer dramatischer Dichter.
Das ist wahr; vor allem seine ersten Stücke
waren unendlich lang; da war ein Überfluß, ein Überreichtum
an Gedanken oder Worten, die er nicht eindämmen konnte. Man sieht,
daß er sich Mühe gegeben hat, es zu tun, aber trotz seines
Eifers und seiner Arbeit hat er sich nie ganz gebessert, man fühlt
es selbst in seinen letzten Werken; sich konzentrieren, ist der wesentliche
Punkt ... Da ist Sömmerring eben mit 75 Jahren gestorben. Wie dumm
die Menschen sind, daß sie nicht den Mut haben, länger zu leben
! Ich lobe mir Bentham, den großen radikalen Narren; er hält
gut aus, er ist zudem noch ein paar Wochen älter als ich.
Fügen Sie hinzu, Exzellenz, daß
er Ihnen in anderer Beziehung gleicht; er arbeitet immer noch mit der
ganzen Tatkraft der Jugend.
Das ist wahr, aber wir sind an den beiden
Enden der Kette; er will niederreißen, ich möchte alles erhalten;
in seinem Alter so radikal zu sein, ist der Höhepunkt der Narrheit.
Ich glaube, man muß (Bentham beiseite)
zwei Arten des Radikalismus unterscheiden. Der eine, der auf die Gefahr
hin alles umzustürzen, niederreißen will, um wieder aufzubauen.
Der andere, der die schwachen Seiten einer Regierung erkennt, auf ihre
Schäden hinweist und Mittel angibt, ihnen abzuhelfen, will und wünscht,
das Gute zu vollbringen, ohne Gewaltmittel anzuwenden. Wenn Ew. Exzellenz
auf den Boden Englands versetzt würden, hätte sie dieser zweiten
Art des Radikalismus nicht ausweichen können ...
Halten Sie mich für einen Dummkopf
! Hätte ich Mißbräuche aufgestöbert und enthüllt,
auf sie aufmerksam gemacht, ich, der ich in England von ihren Erträgen
gelebt haben würde ! Wenn ich als Engländer geboren wäre
(Gott sei Dank, daß ichs nicht bin), würde ich als ein millionenreicher
Herzog oder noch eher ein Erzbischof mit 60000 Pfund Einkommen gewesen
sein.
Recht so; aber wenn zufälligerweise
dieses große Los nicht auf Sie gefallen wäre ? Es gibt so viele
Nieten.
Ich glaube wohl. Aber nicht jedermann ist
für das große Los geschaffen. Glauben Sie, ich wäre so
dumm gewesen, auf eine Niete hereinzufallen ? Ich hätte tapfer die
Partei der 39 Artikel ergriffen, ich hätte sie unter all ihren Gesichtspunkten
verteidigt, vor allem den Artikel 13, er wäre für mich ein Gegenstand
ganz besonderer Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit gewesen; ich hätte,
in einem Wort, so viel gelogen in Versen und Prosa, daß die 60000
Pfund mir nicht hätten entgehen können.
Man muß sich über alles setzen,
um nicht zermalmt zu werden, und von der Höhe seiner Größe
herab sich wohl vorstellen, daß die Menge nur aus Unvernünftigen
und Dummköpfen zusammengesetzt ist; man würde ihre Zahl noch
vermehren, wenn man nicht die Mißbräuche, die sie die Dummheit
besitzt unter sich groß werden zu lassen, zum eignen Nutzen anwendete,
da dann andere von ihnen profitieren würden, wenn wir es nicht selbst
täten.
Man kann nichts gegen die sagen, die,
wie Sie, sich den Gipfel erobern; aber all das ist in England nicht der
Fall, die Mehrzahl der Genießenden ist aus den Unfähigsten
oder Dümmsten zusammengesetzt; Protektion, der Zufall oder vor allem
die Geburt haben ihnen einen Löwenanteil verschafft.
Es ist gleichgültig, ob sie die Erbschaft
genommen oder geerntet haben; es ist darum nicht weniger wahr, daß
der erste, der sie besessen hat, ein Mann von Genie gewesen ist, ein überlegener
Mann, und daß das Recht ihm von Narren bewilligt worden ist. Sie
sehen also, daß die Welt genügend mit schwachen Köpfen
und kleinen Geistern versehen ist, ich brauche sie nicht in den Hospitälern
zu suchen. Das erinnert mich daran, daß ich einst dem verstorbenen
Großherzog den größten Widerwillen zeigte, mit ihm ein
Irrenhaus zu besuchen; er versuchte, mich durch Überraschung hineinzuführen;
da ich es beizeit bemerkte, sagte ich zu ihm, daß ich nicht für
nötig fände, auch noch die zu sehen, die man einsperrte, und
daß ich bereit wäre, Se. Hoheit in die Hölle, aber nicht
ins Irrenhaus zu folgen.
Gott, welche
Freude hätte ich, die 39 Artikel auf meine Weise zu handhaben, um
diese dumme Menge in Erstaunen zu versetzen ... Nein ! ich werde ruhig
bleiben; man muß gut bezahlt werden, um Lust zu haben, so gut zu
lügen, ich tue es nicht für weniger als eine Bischofsmütze,
begleitet von den 60000 Pfund. Überdies habe ich schon Proben dieser
Art geliefert. Wissen Sie, welches eine meiner ersten Arbeiten gewesen
ist ? Ein großes dithyrambisches Stück über die ›Höllenfahrt
Christi‹ : es ist sogar gedruckt worden, aber es ist nicht bekannt,
und ich habe in meinen Jugenderinnerungen nicht davon gesprochen, für
die ich ganz andere unbekannte Einzelheiten aufhebe.
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