Vladimir Nabokov

Aus : Fahles Feuer

     Etwas von diesem simplen Vertrauen sollten auch wir haben. Bei diesem göttlichen Nebel äußerster Abhängigkeit, der unser Dasein durchzieht, ist es kein Wunder, wenn man in Versuchung gerät, kein Wunder, wenn man mit träumerischem Lächeln die solide Feuerwaffe in der Hand wiegt, eingehüllt in ihre Wildledertasche, kaum größer als der Schlüssel zu einem Schloßportal oder der gesäumte Beutel eines Knaben, kein Wunder, wenn man über die Brüstung in den einladenden Schlund hinabblickt.
     Ich wähle diese Bilder ziemlich leichthin aus. Es gibt Puristen, die darauf bestehen, ein Herr von Stand dürfe die Pistole nur paarweise benutzen, für jede Schläfe eine, oder einen bloßen botkin (beachten Sie die korrekte Schreibweise) wie Hamlet, und daß Damen entweder eine tödliche Dosis schlucken oder mit der ungeschickten Ophelia ertrinken sollten. Bescheidenere Menschen haben die verschiedensten Erstickungsarten bevorzugt, und Dichter von niederem Rang haben sogar so phantastische Befreiungsversuche unternommen, wie sich in der vierfüßigen Wanne eines zugigen Pensions-Badezimmers die Adern anzuzapfen. All dies ist ungewiß und unordentlich. Von den nicht allzu vielen bekannten Arten, sich zu entleiben, ist Fallen Fallen Fallen die überragende Methode, doch sollte man sein Fensterbrett oder seinen Sims sehr sorgfältig aussuchen, damit man nicht sich oder andere verletzt. Der Sprung von einer hohen Brücke ist nicht zu empfehlen, selbst wenn Sie nicht schwimmen können, denn Wind und Wasser bergen einen Überfluß an seltsamen Zufälligkeiten, und die Tragödie sollte nicht in einem Tauchrekord oder der Beförderung eines Polizisten gipfeln. Wenn Sie eine Zelle in luminöser Waffel mieten, Zimmer 1915 oder 1959, in einem riesigen Hotel im Geschäftsviertel, das den Staub der Sterne streift, und wenn Sie das Fenster hochziehen und sachte — nicht etwa fallen oder springen, sondern hinausrollen, wie man es tun muß, um sich so richtig in der Luft zu aalen, besteht immer die Gefahr, daß Sie einen friedlichen Nachtwandler, der seinen Hund ausführt, glatt in Ihre eigene Hölle mit hineinstoßen; in dieser Hinsicht könnte ein nach hinten gelegener Raum mehr Sicherheit bieten, besonders wenn er auf das Dach eines alten, zählebigen, ganz normalen Hauses weit unterhalb führt, wo die Katze ganz sicher zur Seite springt. Ein weiterer beliebter Absprung ist die Bergspitze, deren Flanke sagen wir fünfhundert Meter steil abfällt, aber die soll man erstmal finden, weil Sie nämlich überrascht sein werden, wie leicht man sich in seinem Absprungwinkel verkalkulieren kann, so daß irgendein versteckter Vorsprung, irgendeine dumme Klippe plötzlich hervorstößt, um Sie aufzufangen, was dann bewirkt, daß Sie abprallen und ins Gestrüpp fallen, frustriert, verstümmelt und ganz unnützerweise am Leben. Der ideale Sturz ist der aus einem Flugzeug, mit entspannten Muskeln und perplexem Pilot, den gefalteten Fallschirm beiseite gestellt, weggeworfen, abgeschüttelt — leb wohl, shootka (Parachute´chen) ! Und abwärts geht´s, aber die ganze Zeit fühlen Sie sich ausgestreckt und getragen, während Sie in Zeitlupe wie eine schläfrige Purzeltaube Ihre Saltos schlagen und sich lässig auf den Eiderdaunen der Luft lümmeln oder faul umdrehen, um Ihr Kissen zu umarmen, jeden letzten Augenblick des weichen, tiefen, todgepolsterten Lebens genießend, die grüne Schaukel der Erde mal über, mal unter sich, und dann die wollüstige Kreuzigung, da Sie sich in der wachsenden Hatz, im herannahenden Sausen strecken, und dann das Verlöschen Ihres geliebten Körpers im Schoße des Schöpfers. Wäre ich ein Dichter, gewiß würde ich eine Ode schreiben auf den süßen Drang, die Augen zu schließen und sich völlig der perfekten Sicherheit umworbenen Tods anheimzugeben. Ekstatisch fühlt man die Grenzenlosigkeit der Göttlichen Umarmung voraus, wie sie den befreiten Geist umfängt, das warme Bad physischer Auflösung, während das unbekannte Universum die unbekannte Minuskel, die der einzige reale Teil unserer vorübergehenden Persönlichkeit gewesen ist, verschlingt.

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