Bernd Lüttgerding

Eldena
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Abschied von einer Ruine

ach, nur Vergehendes ist schön
G. BENN

     Wieder schlich der schwarze Panther durch die Gassen, machte Häuser als auch Vögel verstummen und stürzte sich mit einem Satz in den Himmel, daß Finsternis ward. Eine Nachtigall, als es zu regnen begann, schwieg nicht. So kam die letzte Nacht, verbracht wie alle, an der Kellerluke nach Norden hinaus, Aug in Auge mit einer tropfenbehangenen Thujahecke, mit glasiertem Asphalt und letzthin, Wurm geworden, rastlos in klebrigen Federn bis zum Morgenblaun. Helene, noch immer. Leicht aber kamen die Worte schon nicht mehr.
     Das Schlimmste ist überstanden. Die Ruine nur soll noch einmal besehen sein. Wind kommt landwärts, salzig entgegen und spielt im Staub. Fliederbäume nicken aus den Hintergärten, glimmen hin und wieder auf im schnellen Licht. Erste Schritte schlendern auf Beton, dann weich im Torfgrund unter Buchen. Von links starrt ein Haus blindfenstrig ins Nichts. Dort wandelt auch ein Elternpaar; schlottrige Mäuler zanken im Verein mit Starenchören, während ihr Lebenszweck hinter ihnen vom kleinen Fahrrad fällt und seltsam lange reglos bleibt, bevor er aus einem Putergesicht häßlich zu schreien beginnt. Eine Blauregenfassade betört mit Düften. Fetzen von Apfelblüten stolpern, taumeln über die Straße hin. Schritt für Schritt macht Voriges zum Vorbei. Alles War bröckelt ab. Ein Abschied hat mehrere Hürden, jede kleiner als die vorherige; die letzte nimmt sich von selbst.
     Das Schlimmste ist überstanden.
     Drüben, hinter dem geschäftigen Treiben einer Querstraße, funkelt dann rötlich und turmhoch zwischen Bäumen das große Lanzettbogentor. — Fast ein Turmpaar, Jubelsang auf Senkrechtes, in backsteinernem Kuß geeint. Spitze Fensterchen weiten sich verlassen; auf Stümpfen von Erkern hockt Gras. Stolz des Portals ist seine Öffnung, seine Leere, die zwingt, hindurchzuschreiten über sandige Spur. In Winkeln unter den Bogen markierte Gemensch seine Aufenthalte, da drängt sich Unrat und Kot. Wenig sonst ist geblieben. Kaum ein Echo von Weihrauch und Moder läßt sich denken. Der Weg lenkt vorbei an moosbetreßten Pfeilern, dumpf schimmernden, im Waldlicht, und nichts ist da mehr, was sie stützen müßten. Ein hohes Wändeeck und Reste einer Halle sind reizlose Stätten voll Besucherschmutz.
     Nocheinmal umkreist der Rückweg das prächtighohe, nackte Tor-ohne-Haus. Eben wirft der Nachmittag einen aprikosenen Flor drüberhin. Bäume winken im stärkeren Wind; der keucht, als er den Spitzbogen rammt. Der Tag, der Sturm wird kommen, im Heer von Wurzeln dürstender Keimlinge, der auch diesen steinernen Kuß zerschlägt. Allzeit umarmt uns der Schwund.
     Da ragt mich aus den Trümmern ein Lächeln an :
     Das Schlimmste ist überstanden — die letzte Hoffnung.

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