Anatole France             1914

Aufruhr der Engel

Bericht des Gärtners, Sprechers der gefallenen Geister

XXI. Kapitel
Fortsetzung und Ende des Berichts

     Es schien, daß die Wissenschaft und der Gedanke für immer untergegangen seien, und daß die Erde nie wieder Frieden, Freude und Schönheit kennen sollten.
     Aber eines Tages fanden Arbeiter, die am Rande einer alten Straße die Erde aufgruben, unter den Mauern Roms einen Marmorsarkophag, der auf die Seitenwände gemeißelte Bildnisse Amors und Triumphzüge des Bacchus trug. Als man den Deckel des Sarges hebt, erscheint eine Jungfrau, deren Gesicht in leuchtender Frische glänzt. Ihr langes Haar fällt auf die weißen Schultern herab, und sie lächelt in ihrem Schlafe. Eine Schar von begeisterten Bürgern erhebt das Totenbett und trägt es auf das Kapitol, das Volk kommt in Scharen, die unaussprechliche Schönheit der römischen Jungfrau zu betrachten, und bleibt schweigend, nach dem Erwachen der göttlichen Seele suchend, die diese anbetungswürdige Hülle enthält. Kurz, die Stadt wurde von diesem Schauspiel so gewaltig bewegt, daß der Papst, der nicht ohne Grund fürchtete, es möchte ein neuer heidnischer Kult auf den strahlenden Leib hin erstehn, ihn nächtlicherweise rauben und insgeheim begraben ließ. Vergebliche Vorsicht, unnütze Sorgen ! Die antike Schönheit war nach so vielen Jahrhunderten der Barbarei einen Augenblick lang den Blicken der Menschen erschienen; das war genug, auf daß ihr Bild, in die Herzen eingeprägt, ihnen ein heißes Verlangen zu lieben und zu erkennen eingeflößt hatte. Von nun an verblaßte der Stern des Christengottes und neigte sich dem Untergange zu. Kühne Seefahrer entdeckten Welten, wo zahlreiche Völker lebten, die den alten Jahve nicht kannten, und man argwöhnte, daß er sie auch nicht kannte, da er ihnen keine Nachricht von sich und seinem Erlösersohne gegeben hatte. Ein polnischer Domherr wies die Bewegung der Erde nach, und man wurde gewahr, daß der alte Demiurg Israels, weit entfernt, das Weltall geschaffen zu haben, nicht einmal eine Ahnung von seinem Bau hatte. Die Schriften der antiken Philosophen, Redner, Rechtsgelehrten und Dichter wurden aus dem Staub der Klöster gezogen, gingen von Hand zu Hand und flößten den Geistern Liebe zur Weisheit ein. Der Stellvertreter des eifersüchtigen Gottes, der Papst selbst, glaubte nicht mehr an den, welchen er auf der Erde darstellte. Er liebte die Künste und kannte keine andre Sorge, als die antiken Statuen zu sammeln und prächtige Bauwerke aufzuführen, in denen sich die Regeln des Vitruvius, die von Bramante wieder eingesetzt waren, entfalteten. Wir atmeten wieder auf. Schon kehrten die wahren Götter, aus ihrer langen Verbannung zurückberufen, wieder, die Erde zu bewohnen, sie fanden Tempel und Altäre wieder. Leo legte den Ring, die dreifache Krone und die Schlüssel zu ihren Füßen nieder und brachte ihnen insgeheim Weihrauchopfer dar. Schon nahm Polyhymnia, die Ellbogen aufgestützt, den goldnen Faden ihrer Betrachtungen wieder auf, schon bildeten in den Gärten die züchtigen Grazien und die Nymphen mit den Satyrn Tanzchöre, endlich nahm die Erde wieder Freude auf. Aber, o Mißgeschick, unheilvolles Los, verderbliches Ereignis ! Da richtet sich ein deutscher Mönch, ganz geschwollen von Bier und Theologie, gegen dieses wiedergeborne Heidentum auf, bedroht es, zerschmettert es, obsiegt allein über die Kirchenfürsten, erhebt das Volk und nötigt es zu einer Reformation, die rettet, was zerstört werden sollte. Vergebens suchten die geschicktesten von uns, ihn von seinem Werke abzubringen. Ein spitzfindiger Dämon, den man auf Erden Beeluebub nannte, heftet sich an seine Fersen; bald sucht er ihn durch die Beweise eines gelehrten Glaubensstreits in Verlegenheit zu bringen, bald quält er ihn durch grausame Possen.
     Der hartnäckige Mönch wirft ihm sein Tintenfaß an den Kopf und fährt in seinem traurigen Reformationswerk fort. Was soll ich schließlich sagen ? Der kräftige Fährmann takelte und kalfaterte das lecke Schiff der Kirche und machte es wieder flott. Jesus Christus verdankt es diesem Kuttenträger, seinen Schiffbruch um mehr als zehn Jahrhunderte vielleicht aufgeschoben zu sehn. Von nun an verliefen die Dinge vom Schlimmen zum Schlimmeren. Auf den groben Kapuzenmann, Trinker und Streiter kam der lange trockne Doktor aus Genf, der mit dem Geiste des alten Jahve erfüllt war und sich mühte, die Welt zu den abscheulichen Zeiten Josuas und der Richter Israels wieder zurückzuführen, ein kalt wütender Narr, ein ketzerischer Ketzerverbrenner, der wildeste Feind der Grazien.

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