Dokumente aus den Dunkelkammern religiöser Wahnideen ——

Matthieu Lovat, 46 Jahre alt, der Sohn armer Landleute im venezianischen Gebiet, mußte Schuhmacher werden und wurde deshalb finster und schweigsam, weil sein Wunsch, Priester zu werden, nicht in Erfüllung gehen konnte. Doch zeichnete er sich durch einen musterhaften Lebenswandel und durch übertriebene Frömmigkeit aus. Im Juli 1802 schnitt er sich mit einem Schusterkneif die Geschlechtsteile ab und warf sie aus dem Fenster. Mit Hilfe aufgelegter Kräuter brachte er selbst seine Heilung völlig zustande. Vom Spotte der Dorfbewohner verfolgt, begab er sich nach Venedig, wo er ein Jahr lang fleißig arbeitete, ohne eine Spur von Wahnsinn zu verraten. Dann überraschte man ihn aber in dem Augenblicke, wo er sich an ein aus dem Holze seines Bettes verfertigtes Kreuz heften wollte, indem er einen Nagel in seinen linken Fuß hineintrieb. Er äußerte hierüber bloß, der 21. September sei der Festtag des Matthäus, seines Schutzheiligen, mehr dürfe er nicht sagen. Genötigt, eine andere Wohnung zu beziehen, verfertigte er sich bald wieder ein anderes hölzernes Kreuz und flocht außerdem ein Netz aus Bindfaden, dessen untere zusammengezogene Öffnung er an der für die Füße bestimmten Querleiste des Kreuzes, und dessen obere Öffnung an den beiden Enden des Querbalkens befestigte, welcher die Arme des Kreuzes bildete, so daß das Netz eine Tasche darstellte, welche ihn am Kreuze festhalten sollte. Aus der Mitte der oberen Öffnung des angehefteten Netzes ging ein starkes Seil hervor, welches ebenso wie ein anderes an der Vereinigungsstelle beider das Kreuz bildender Holzstücke geknüpftes sehr stark an einem Balken befestigt wurde, welcher sich innerhalb des Zimmers über dem Fenster befand, dessen Lehne sehr niedrig war. Die Länge dieser beiden Seile gestattete es, das Kreuz wagerecht auf den Boden des Zimmers zu legen. Nachdem diese Vorbereitungen beendigt waren, setzte Lovat sich eine Dornenkrone auf, von welcher drei oder vier Stacheln in die Haut eindrangen; ein weißes Tuch, um die Weichen und Hüften gebunden, verhüllte den verstümmelten Teil, der übrige Körper blieb nackt. Er steckte seine Beine in das Netz des Kreuzes, und indem er sich auf demselben in sitzender Stellung verhielt, nahm er einen der Nägel, deren Spitzen abgeplattet waren, und trieb ihn durch die innere Fläche der rechten Hand, indem er den Kopf des Nagels auf den Boden schlug, welcher dadurch bis auf die Hälfte seiner Länge in die Hand drang. Die auf die Querleiste gestellten Füße, der rechte über dem linken, wurden daselbst durch einen 15 Zoll langen Nagel befestigt. Mit seiner schon verwundeten Hand führte er die Hammerschläge, während die linke Hand den Nagel in senkrechter Richtung hielt. Letzterer durchbohrte seine Füße und traf das in der Querleiste angebrachte Loch, in welches wiederholte Hammerschläge ihn tief genug hineintrieben, um ihn hinreichend zu befestigen. Lovat band sich hierauf um die Mitte des Körpers fest an das Kreuz; hierauf brachte er sich mit dem Schusterkneif eine Querwunde zwei Zoll unter dem linken Hypochondrium bei (er hatte vergessen, daß es das rechte sein sollte), ohne jedoch einen inneren Teil zu verletzen. Endlich durchbohrte er die linke Hand auf dieselbe Weise wie die rechte mit einem Nagel. Lovat hegte jedoch das Verlangen, sich dem Volke gekreuzigt zu zeigen. Deshalb hatte er das Kreuz wagerecht auf den Boden gelegt, so daß das untere Ende desselben über die sehr niedrige Brüstung der Fenster reichte. Indem er sich gewaltsam auf den Rücken der ersten Fingerglieder jeder Hand stemmte, da die Nägel ihm keine andere Bewegung gestatteten, so schnellte er in mehreren Absätzen den Körper und das Kreuz in die Höhe, welches bei jedem Stoß weiter nach außen getrieben wurde, und brachte es zuletzt dahin, daß das ganze Gerüst überschlug und mit Hilfe der Stricke außerhalb des Fensters hängen blieb. Hierauf versuchte er, indem er beide Arme aufhob und rückwärts bog, die Nägel, welche seine beiden Hände durchbohrten, in die beiden Löcher, welche er an den Enden des Querbalkens vom Kreuze angebracht hatte, zu bringen, indes gelang ihm dies nur mit der linken Hand. Vom Kreuze losgemacht, verharrte er in einem hartnäckigen Stillschweigen, nur auf dem Wege nach dem Krankenhause brach er in die Klage aus : ›Ach, ich bin sehr unglücklich‹. Dort angelangt, unterwarf er sich bereitwillig allen Heilmaßregeln, durch welche auch seine körperlichen Verletzungen bald beseitigt wurden; doch blieb er stets finster, sprach mit niemanden und schloß fast beständig seine Augen. Jedoch gab er auf Fragen über den Beweggrund seiner Kreuzigung die Antwort : ›Der Stolz der Menschen müsse bestraft werden, und er müsse am Kreuze sterben‹. Er war dergestalt davon überzeugt, der Wille Gottes habe ihm das Martyrium der Kreuzigung auferlegt, daß er den Gerichtshof davon in Kenntnis setzen wollte, um dem Verdacht vorzubeugen, den sein Tod auf unschuldige Personen werfen könne. In dieser Absicht hatte er schon lange vor seinem letzten wahnsinnigen Streiche seine Ideen auf ein Stück Papier geworfen. Während der ersten Tage seiner Anwesenheit im Hospital beklagte er sich über keine Schmerzen, erst am achten Tag äußerte er, daß sie ihm den Schlaf geraubt hätten. In lichteren Stunden antwortete er richtig und gab hinreichende Auskunft über seine Kreuzigung. Kaum konnte er sich seiner Hände bedienen, als er auch das Gebetbuch nicht mehr weglegte. Als man ihm seine Entlassung verweigerte, entfloh er im Hemde, wurde aber ergriffen und am 20. August 1805 in das Irrenhaus St. Servolo gebracht. Die ersten acht Tage daselbst war er gelassen und folgsam, aber bald fing er an, alle Nahrung zu verweigern. Vergebens versuchte man es mit Gewalt und Überredung; er blieb sechs Tage, ohne eine Tropfen Wasser zu genießen, daher man seine Zuflucht zu nährenden Klistieren nahm. Am Morgen des siebenten Tages ließ er sich bewegen, einige Nahrung zu genießen, womit er 14 Tage fortfuhr, auf welche Zeit wieder ein elftägiges Fasten folgte, so daß man wieder Klistiere anwenden mußte. Dessenungeachtet schien sein körperlicher Zustand nicht zu leiden, da seine Kräfte und sein äußeres Aussehen sich gleich blieben. Es fand eine mehrmalige Wiederholung des strengen, kurze oder längere Zeit fortgesetzten Fastens statt, welches jedoch niemals länger als 14 Tage dauerte. Im Monat Januar 1806 traten die Erscheinungen der Lungenschwindsucht auf, an welcher er am 8. April starb.

***