Menschen
sind
Maschinen der Engel
von Jean Paul, 1785 :
Wenn wir sehr aufgekläret
sein musten, um die stolze Einbildung aufzubeben, daß die ganze
Welt blos unsertwegen existire und daß die Sterne in der That nichts
anders als die messingen Himmelknöpfe wären, welche an der Himmelhaut
der Kutsche oder Welt, die uns fähret, glänzten : so mag es
noch weit mehr Erhellung unserer Köpfe bedürfen, eh´ wir
uns bereden lassen, daß wir blos gewisser höherer Geschöpfe
wegen hienieden leben, die wir Engel nennen und daß diese die wahren
Bewohner dieser Erde, wir aber nur der Hausrath derselben sind. Inzwischen
ist es meine Absicht, von diesem leztern Saz so gut als möglich Beweise
darzulegen ‹zu führen› : ich wünsche wahrhaftig,
daß eine Behauptung iedem einleuchte, die so sehr geschikt ist,
unsere wahre Bestimmung ans Licht zu bringen, unserm Stolze zu gebieten
und den Begrif vielleicht ein wenig zu erhöhen ‹vergrössern›,
den die Welt von mir hat.
Die Thätigkeit, in der wir auf dieser
Erde sind, die Handlungen, die wir zu Stande bringen, tragen insgesamt
so wenig zu unserm Wole bei, daß man längst hätte zweifeln
sollen, ob denn unsere Geschäftigkeit blos unsern eignen Absichten
diene : wie augenscheinlich ist es, daß diese Ämsigkeit, die
wider unser Glük anläuft, dem Glükke anderer Wesen fröhnet,
deren Hände uns als Werkzeuge führen ! Als ich vor einigen Jahren
in meine Schreibtafel schrieb : »du kraftloser Schatte, armes Menschengeschlecht,
in der Welt, wo du allein zu schalten wähnst, drängen und bewegen
sich tausend unsichtbare Hände, welche die deinigen nur stat der
Handschuhe gebrauchen !« so sah ich noch nicht ein, welch ein weiterer
und wahrerer Sin in dieser Metapher liege ! Denn es ist keine poetische
Redensart, sondern kahle nakte Wahrheit, daß wir Menschen blosse
M a s c h i n e n sind, deren sich höhere Wesen, denen diese Erde
zum Wohnplatz beschieden worden, bedienen.
Als die Engel unsere Erde zuerst betraten
: so hatten sie noch bei weitem die unzähligen Menschenmaschinen
nicht, zu denen sie sich iezt Glük wünschen können; nach
und nach erst erfanden sie [bald] diese bald iene Maschine oder wie wir
zu sagen pflegen, Menschen, bis almählig die Zahl ihrer Maschinen
so heran wuchs, daß sie iezt für alle Bedürfnisse die
herlichsten Maschinen oder Menschen zeigen.
Ein Engel verfertigte auch, wiewol mehr
der Seltenheit und des Vergnügens als des Nuzens wegen, herliche
Schachmaschinen und ieder meiner Leser mus dergleichen Wesen gesehen haben,
die das Schach, ohne das geringste Zuthun eines Engels, bloss durch einen
Mechanismus, der in ihrem Kopfe angebracht ist, spielen können; sie
bewegen den rechten Arm von selbst, sie schütteln sogar — das
ist unerhört — den Kopf zu einem falschen Zuge des Gegners
und thun, wenn der König schach mat ist, um alles in der Welt keinen
Zug mehr.
Der Leser wird leicht wahrnehmen, wie ähnlich diesen Schachmaschinen
die bekante ist, die H. v. Kempele erfand und die man wol gar bewundert;
ich glaube aber, es ist ausserordentlich leicht, etwas nachzumachen, wenn
man ein volkommenes Model schon vor sich hat und den Ruhm einer Erfindung
an sich zu reissen, wenn ein anderer ihn erworben. H. v. Kempele war so
glüklich, sich an lebendige Schachmaschinen, die die Engel schon
ganz ausgearbeitet hatten, halten und sie in der seinigen nachkopiren
zu können, was Wunder, daß es ihm gerieth, da es ein Wunder
gewesen wäre, hätte es ihm fehlgeschlagen. Demungeachtet ‹Und
doch› bleibt auch immer ein gewaltiger Unterschied unter beiden
Maschinen und das Werk des Engels sticht über das eines Menschen
bei weitem hervor. Jenes besteht aus Fleisch und Blut — das Blut
kan kein Chymiker nachmachen, dieses aus blossem Holz und einem Metalle.
Die Engel waren es lange überdrüssig,
s(elbst) zu beten; sie sahen wol alle ein, daß es einerlei wäre,
ob man mit seiner eignen oder einer fremden Stimme, ob man mit seinen
Sprachwerkzeugen oder mit einer andern Maschine betete; allein sie konten
die Maschine [nicht] erfinden, die an ihrer stat betete. Endlich brachte
einer — wie wol einige mehrere angeben und Leibniz und Newton streiten
‹zanken› noch um die Ehre des ersten Einfals — eine
zusammen, die noch besser war als man sie verlanget hatte. Ein Engel,
der beten wil, giebt blos dieser Maschine einen Stos, so fängt sie
an, ein schönes Gebet abzutönen, das der Engel sich zurechnet.
Ich wil übrigens damit nicht von den Kalmükken stilschweigends
behaupten, daß sie die Erfindung der Betmaschine von den Engeln
gestohlen : sie können gar wol auf denselben Einfal gerathen sein,
ungeachtet er schon tausend Jahr in der Welt war, wie wir das Pulver erfanden,
ungeachtet es die Sineser schon hatten.
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Vor einigen Jahren wurde von H. Changeux in Paris (Magazin
des Buch- und Kunsthandels 12 St. 1780) der sogenante Barometrograph erfunden,
der die Veränderungen der Schwere der Luft nicht blos wie ein gewöhnliches
Barometer angiebt, sondern sie auch auf eine Woche lang Tag und Nacht
aufschreibet : diese Maschine sol, wie es nur zu deutlich scheint, die
Gelehrten brodlos und entbehrlich machen, die bisher die Buchhalter der
Atmosphäre waren und von iedem Tage eine Biographie ausfertigten.
Ich glaube aber schwerlich ‹wol nicht›, daß der Barometrograph
des Changeux den Barometrograph der Engel ‹die Gelehrten›
verdrängt. Denn diese Barometrographen, die sich von den Engeln herschreiben,
— die Gelehrten — sind viel besser. Die Maschine des Ch. führet
über die Veränderungen der Luft das Protokol nur 8 Tage lange;
die Maschinen der Engel hingegen sezen diese Niederschriften so lange,
als sie zusammengefügt verbleiben, fort und man hat Gelehrte aufzuweisen,
die noch im achtzigsten Jahre d(em) Barometer nachschrieben. Dazu geben
die Gelehrten — welches die [Maschinen des Ch.] offenbar nicht können
— die Wetterbeobachtungen hernach in den Druk.
Die Maschinen der Erde müssen fast
alzeit den Maschinen der Engel den Vorrang lassen und man thut ienen nicht
zu viel, wenn man behauptet, daß sie, so wie die Schönheiten
der Erde nach Plato blosse Abdrükke der Schönheiten im Himmel
sind, blosse Nachahmungen und schwache Kopien der Maschinen sind, die
die Engel erdacht : ienes Frauenzimmer ‹Maschine› z.B., das
Klavier ‹spielt›, ist höchstens eine glükliche Kopie
der weiblichen Maschinen, die das Klavier schlagen und die Töne mit
Bewegungen begleiten, die offenbar Rührung zu verrathen scheinen.
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