Artur und Theodor Reik

Zum Gottesglauben des Kindes
Notiz über meinen Sohn Artur (datiert Februar 1920; damals war er noch nicht fünf Jahre alt) :

Er erzählte mir vor dem Einschlafen spontan : »Den lieben Gott muß man gernehaben; weil, wenn man ihn nicht gerne hat, da ist der liebe Gott böse und schickt den Kindern nicht Zuckerln mit dem Nikolo und mit dem Christkind. Die bösen Kinder haben den lieben Gott nicht gern, weil sie denken, daß der liebe Gott sie nicht in das Buch einschreiben wird und weil das Christkind und der Nikolo immer etwas bringen werden. Der liebe Gott schreibt die Kinder doch ein, die bösen, wenn sie so sind, und schickt mit dem Nikolo und dem Christkind nichts. Weißt du, die bösen Kinder haben den Papa nicht gern, weil sie denken, daß der Papa sie doch gern haben müßte, weil das ist mein Papa. Und die guten Kinder denken sich das nicht und haben den Papa gern und sind brav.« Befragt, woher denn der liebe Gott komme, erzählt er : »Erst war ein ganz großer Gott, dann hat er einen kleineren Gott auf die Welt gebracht, und der kleinere Gott hat einen noch kleineren Gott gezaubert, der noch kleinere Gott hat einen ganz kleinen Gott gezaubert, und so hat er immer weiter gezaubert. Früher war ein ganz großer Gott für alle Menschen, und der war so ein großer Künstler, daß er sich selber auf die Welt gebracht hat. Früher waren 16 Millionen Menschen und der ganz große Gott war so ein Künstler, daß er für alle Menschen gezaubert hat, dann sind aber immer mehr Menschen gekommen. Der eine Gott kann nicht so viel machen für alle Menschen, aber die vielen Gotte können mehr arbeiten als ein großer Gott.« Er setzt dann hinzu : »Für jede Stadt gibt es Milliarden Gotte, für jeden Menschen gibt es einen Gott. Es kann auch möglich sein, daß es für eine Stadt ein großer lieber Gott statt Milliarden kleiner lieber Gotte geben kann ... Der [große] Gott ist der größte Zauberer, den es auf der Welt gibt. Bei jedem Gott ist eine Frau und viele Engerl, das sind die Kinder. Der große Gott ist früher gewachsen als die kleinen. Der Judgott hört nur auf die Juden, der Christgott nur auf die Christen. Der Christgott schaut aus wie der Judgott und der Judgott schaut aus wie der Christgott.« Da er mich schreiben sieht, setzt er hinzu : »Schreib auf das mit dem Gott und zeig´s dem Professor Freud, der auf dem Bild ist1. «

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1 Photographie in meinem Arbeitszimmer