Koslowski über den Freitod

     Koslowski wußte eines immer, nämlich Rat. Am Heiligabend 1962 kam Heiner zu Koslowski gelaufen und sagte Waldemar, ich will mich umbringen. Was sagst du dazu ? Und schnell improvisierte Koslowski die noch heute gültige Haltung zum Selbstmord : Von mir aus kann jeder machen, was er will, für mich kommt das nicht in Frage, denn dann wär ich ja nicht mehr da. Auch im weiteren Verlauf des Heiligabends hatte Koslowski stets und quick ein potentes Patentrezept zur Hand und ein vollmundiges linguistisches Gutachten.
     Gern und oft, ja, mit den Jahren immer lieber und häufiger, sah sich der späte Koslowski, je älter er wurde, gezwungen, dem Volk übers Maul zu fahren, mißliebige oder einfach falsche Ansichten zu korrigieren. Ganz glitzerndes Zwischenwesen und erbarmungsloser Didaktiker, leitete er seine Schulmeistereien ein mit einem gequälten Ich will ja nichts sagen. Jenen Abend hatte Koslowski das schwierige Thema Kunst und er sprach also zum iprumper Plenum : Ich will ja nichts sagen, aber Kunst kommt mitnichten von Können. Kunst kommt von Konstanz, der schönen Stadt am Bodensee1. Oder höchstens noch von einem vielversprechenden Knaben namens Stefan Kunz, der uns geboren werden wird.
     Filigran pflegte er, der Lateiner unter den Kadern des Irischen Frühlings, seine Argumentation zu entfalten, aß dabei gebratene Tauben und warf, schwer traumatisch verletzt, scheue Blicke in den Himmel nach Stukas. Oder heißt es etwa nicht ars longa ? Kunst ist also alt. Uralt sogar. Und Konstanz ? Ist Konstanz nicht eine alte Gründung ? uralt vielleicht ? Merkt ihr was ?
     Nein, sie merkten nichts. Oder nur wenig.

***

___________

1 Natürlich wollte Koslowski mit diesem Faux pas nur die Aufmerksamkeit seiner Hörer prüfen. Diese war 1972 nicht sehr immens