Dokumente aus den Dunkelkammern religiöser Wahnideen

Darf der Salmoxisbote, das Gewissen der Welt, wütend werden oder muß er alles dulden ?

     Was ist eigentlich mit den Jungfrauen ? Eine Frage, die der letzte Bote auf der dritten Umschlagseite Marianne Wex in »Parthenogenese heute« längst stellen ließ. Aber vielen Lesern schien sie nicht erschöpfend beantwortet. Und so huschten die Faxe jüngelwärts, künghin und moltmannnach. Sölle erreichten wir nicht. Wir bekamen Besseres : wir bekamen ihren Anrufbeantworter an den Apparat. Den hieß sie sagen, sie bereite sich auf den Seychellen vor für ihre einjährige Gastprofessur, die in Bremen unter dem feschen Titel Gott denken spielen soll, und rassige neue Gedichte hätte sie auch bereits, eins davon an Erich Fried — und wie aus dem Boden geschossen stand kurz nach Ostern und kurz vor Christi Himmelfahrt fest : gemäß zuverlässiger Theologen Auskunft sind die fünf törichten Jungfrauen schon vor geraumer Zeit unbekannten Ziels verstorben.
     Der Bote ist nie zufrieden, wenn etwas feststeht. Aber hier mußte er sich geschlagen geben. Und so in Wut versetzt, ermittelte er gegen die fünf klugen Jungfrauen, die zu ihren Funzeln noch Öl dabei gehabt hatten. Vier von ihnen konnten sich den Weg leuchten und sind verbürgt im Himmel angelangt, zur fünften jedoch weiß der Bote dank unglaublicher Umstände nun ganz Neues.
     Sie ist unter uns. Körperlich. Sicher, sie hat auch Fehler. Aber vorzüglich war sie dermaßen zäh und klug, daß sie eine Güte entwickelte, die sie alle neun Kolleginnen überleben ließ, damit wir jemanden haben, der uns heimleuchtet. Und der Bote hegt den leisen Verdacht, sie bekleide in Personalunion das Amt des einen Gerechten, sei die eine arme Sau, die nach entzückender Tradition mindestens auf Erden grasen muß, daß die Welt nicht der Vernichtung preisgegeben wird. Das wär einigen unangenehm, unwillkommen, nachgerade unrecht und macht Jucken. Dem Nichts anheimfallen — passieren könnts wohl ... ein väterliches Achselzucken, ein Auswurf des Sohnes, ein Kampfgas vom Heiliggeist. Köstliche Streifen wie Hellbound und Warlock (mit Julian Sands !) malen gar die Option aus, Schöpfung samt Schöpfer seien annihiliert, wüßte wer Gottes geheimen (d.i. zwangsneurotisch wahren) Namen und spräche den rückwärts. Die Redaktion des Salmoxisboten, der folgender kurioskrude Brief unfrankiert ins Haus geworfen wurde, will eine breite Debatte entfachen : wie, wenn Gott in echt Otto hieße oder Ata, oder Reliefpfeiler oder Eiwtsnos.

Eben meldet unser Korrekturleser Prof. K. Bart, daß Säue nicht grasen sondern Allesfresser sind. Wir prüfen das. Wohlwollend. Karl gibt vor, nicht allein 1000 Bücher gelesen, sondern auch noch 1000 geschrieben zu haben. Tatsächlich bestätigen wir nur : er besitzt Grzimeks Tierleben, Knaurs Buch der Reptilien (den Großen Brehm kennt er nicht) und einen Auswahlband Alfred Jarry. Karl bittet uns zu bedenken, wie, wenn Gott Uhu oder Ubu hieße. Und daß das Palindrome seien.
Eben melden Annafried, Benni, Björn und Agnetha, Gott heiße keinesfalls Anna, Abba oder S.O.S oder sei etwa im schwedischen Fischkonservenhandel tätig. Das sei alles geheim.
Eben melden sich noch viel ältere Leser und behaupten : früher, immer wenn sie beim Kaufmann Imi verlangt hätten, sei ihnen schwarz vor Augen geworden. Bei Omo nie. Und daß das Palindrome seien.
Und jetzt noch die Stimme madagaskarher und flüstert Hannah, Hannah. Ein Palindrom.

     Lieber G.,

     ich habe doch das dringende Bedürfnis Dir einen Brief zu schreiben, da mir die Sache mit F. M. irgendwie am Herzen liegt. Ich spührte da eine Ungerechtigkeit, die mich innerlich so sehr aufwühlt, daß ich es loswerden muß. Es ist schon schamlos, daß Du mir — und vermutlich aller Welt — von der Geschichte mit F. erzählst und auch die Briefe jedem vor die Nase legst, der sich Dir gerade bietet. F. hat recht, wenn er meint, Du wärest nicht sein Freund und Du bist es noch lange nicht, nur weil Du ihn einmal zum Kino einlädst.
     Ich frage mich, ob Du Dich wohl genauso verhalten würdest, wenn Du wüßtest, daß F.M. viele Freunde hätte ... und genau darin liegt der Kern der Sache. Du ereiferst Dich über ihn, obwohl Du weißt, daß es ihm schlecht geht — und gerade deshalb —, denn jemand ohne Freunde ist wie jemand, der keine Lobby hat. Und darauf anzuspielen (wie Du es in Deinem Brief getan hast) ist eine Demütigung. Genauso werden im Weltgetriebe immer diejenigen gefoltert und geknechtet, ausgebeutet und fertig gemacht, die keine Lobby haben. So läuft das Spiel. — Aber viele dieser Menschen werden von Gott Gnade erhalten. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Auch sind es nicht die schlechtesten Menschen, die keine Lobby oder : keine Freunde haben. F. M. ist sicherlich auch kein schlechter Mensch. Das weiß ich. Einsamkeit macht nun mal eigensinnig — und versperrt den Blick auf viele Dinge. Aber einen Einsamen zu verletzen ist wie einen Stein in einen Brunnen zu werfen, den niemand mehr herausholen kann.
     Weil ich Mitwissende bin, fühle ich mich auch ein wenig verantwortlich. Deshalb schreibe ich Dir. Du magst mich für jung und unwissend halten, aber die Verzweiflung hat mich doch zur Wahrheit (zu Gott) geführt. Und so ist sicherlich F. M. auch näher an der Wahrheit als Du. Wer in Finsternis und Trauer gewofen [sic !] wird, wer am Rand des Verstandes und der Welt steht, der fängt sicherlich an zu beten — und der wird sicherlich von Gott erhört werden. Das ist mein tiefer Glaube, wenn nicht gar mein Wissen. So ist Gott mein Lehrer geworden und tut mir Dinge auf, von denen Du nicht einmal zu träumen wagst, wenn ich mich denn hier ein wenig selbst rühmen darf. Und ist der Glaube — und Gott — auch nicht beweisbar, so ist es doch möglich, darüber zu “wissen”.
     Du kannst 1000 Bücher gelesen haben — und doch niemals zu einer Erkenntnis der Wahrheit kommen. Und Du kannst wenig gelesen haben und sie doch erkennen. Du kannst alt und dumm — und jung und klug sein. Die Gerechten und die Demütigen werden zur Wahrheit gelangen. Und so hat F. Rrecht, wenn er schreibt :
     Die Gerechtigkeit wird siegen. — Weil sie zur Wahrheit führt.

     So, jetzt fühle ich mich doch erleichtert um der Worte willen, die ich geschrieben habe.

Bis dann,                [folgendes handschriftlich]           Deine J.

P.S. Ich werde mich vor F.M. selbstverständlich ausschweigen. Vielleicht magst Du Dich ja doch noch mit ihm aussöhnen.

Großartige Gemeinheit noch getoppt !

Offen schamloses Sendschreiben des Boten auf das
vielleicht vertrauliche Schreiben der J.

     O o o, liebe J. Wahr ist Vieles, aber heute ausnahmsweise nicht alles. Guck mal : niemand erlegte Siegel auf, niemandem, und keine verstanden sich von selbst : wozu sind dann Geschichten da, wenn nicht, erzählt zu werden und übermütig lange Zeit zu vertreiben ? Das Zerwürfnis zwischen F. M. und dem Boten ist nun zur schönen Geschichte geworden. Sie handelt von unsichtbaren namenlosen Läusen, die irre schnell über eine Leber laufen und von einer Springflut, hinter der F. M. mit dicken Pustebacken stand und die Dissenz schuf in Bezug auf Gestaltung des Salmoxisboten Nr. 16. Und sie war so mächtig, daß sie den Dissenz im Hui zu weitgehenden Annahmen über charakterliche Deformationen weitete.
     Das Herz des Boten war schwer und ist keine Mördergrube. Und es weiß sehr viel von Takt und auch, wenn ihm taktlos begegnet wird. Nach der letzten schriftlichen Invektive F. M.´s erlaubte sich das Herz die Regung Wut. Was also wirfst ihm vor ? Daß es Vertraute hatte, zu denen auch Du zähltest ?
     Sei nicht gar so stolz darauf : Du hat wirklich nichts im Kopf. Aber selbst Dir blieb wohl unverborgen, was der Bote von der juvenilen Spielart der universellen Zwangsneurose, die du Dir angeeignet hast, hält. Dein überspanntes Schreiben ist ein Dokument dunkler Begriffe. Wie auch anders, wenn die Leerstellen von Gnade und besessener Wahrheit gefüllt werden. Der Bote hat wohl anderes zu tun — aber einige Passagen Deines Briefes ärgern ihn mehr als daß sie ihn nur langweilten. Ist ja schon was. Er ärgert sich besonders über Dich, weil Du vielleicht Zeugin transnaturaler Akte, aber definitiv nicht der zur Verhandlung stehenden emotionalen Spannung warst und überhaupt nichts zu sagen hast zur Intensität der Regung, mit der der Bote F. M. bis dahin begegnete. Die war ihm nämlich manchmal peinlich. Ab und an erschrak er geradezu.
     Natürlich ist F. M. kein schlechter Mensch. Nichts Bösartiges ist an ihm, auch wenn er böse wird. F. M. will ernstgenommen werden. Der Bote tut das, wenn er sich irgendwann die Freiheit nimmt, auf vorgetragene Verletzungen verletzt zu reagieren. Anders als Du hat der Bote nicht Erleuchtung, sondern Begegnung und Selbstdarstellung als Grundlage für seine Valenzen. F. M. handelt : mit Folgen, erwünschten, unerwünschten. So scheints im Plan der Schöpfung vorgesehen. Aber eben auch, daß nicht alles glückt. In ihrem langen Leben hat die Redaktion gelernt, daß sie niemandes Therapeut sein kann. Sie mag F. M. Aber sie ist höchst unmotiviert, sich von dem Herrn über Gebühr anzuhören, sie gaukle aus Berechnung Gewogenheit. Des Boten Frist nämlich ist begrenzt — wie delikaterweise übrigens auch die derer, die an Unsterblichkeit glauben. Der Bote versteht andere, die ein Verhaltensrepertoire, wie es F. M. eignet, nach Möglichkeit meiden. Naturgemäß engt eine aggressivlaunische Kontur den Freundeskreis ein. Das zu sagen ist erlaubt, und selbst, nimmst Du´s als apostolisches , ist es noch ein Dienst an F. M.

     Dein blöder Gott und sein dämlichödes Spiel — er ennuyiert maßlos. Wär er doch solid rachsüchtig, erlegte er wenigstens seine Geschöpfe wie unfair gejagtes Wild. Aber er ist nur so langweilig wie die Ampel Eickedorfer Straße, die zuverlässig auf Rot springt, tritt der Bote heran. Allerdings ist er nur so langweilig, nicht so zuverlässig. Denn was Dein Gott tut, tut er oder tut er auch nicht. Die Menschen, die er das Geschenk des Glaubens zurückweisen und auch sonst nicht sonderlich prosperieren läßt (oder grad zu sehr oder wie auch immer, denn solches soll, wie der Bote hörte, in allen Lebenslagen begegnen), wirft er in Finsternis und postiert sie an Abgründen, daß sie endlich zu Beten anheben (F. M. ist weder in der einen noch am anderen, und selbst wenn : er betete nicht, der Gute) — und Du erhebst nicht Deine zwitschernde Stimme zum Protest, weil, a, wars dann Dein Gott nicht, sondern des Menschen Selbstherrlichkeit (recte : Dein Satan), b : erhört er sie dann sicherlich. So sicher ist der Bote sich da nicht. Erhörte Gott auch den ägyptischen Souverän ?
     Dein Götze verstockte Pharaos Herz. Unerhört !
     Ach, die Redaktion hat Dich öfter mal mitleidig gefragt nach den erstaunlichen Dingen, von denen Du weißt und sie nicht, die Dir geoffenbart worden sind und ihr nicht, und ihr war meist, als hättest Du gemerkt, wie sehr zu voll Du den Mund genommen hast — denn dem ging nichts über. Dein Blick war gleichfalls leer. Oder verklärt. Selig, sozusagen. Sowas mag einem Liebhaber der Worte, auch einem meist unglücklichen, gestohlen bleiben. Von den Inhalten Deiner Offenbarungen wollte der Bote ums Verrecken nicht träumen.
     Gerecht wäre, erwiese sich Werder jedes Jahr als Deutscher Meister. Das aber geschah nur in weniger als 10 % aller Fälle. Daraus folgert : keinesfalls wird die Gerechtigkeit siegen. Und wenn sie punktuell triumphiert, ist das die feine Ironie eines nichtexistenten Geistes : zufällig behaglicher Zufall. Und über Dein juxiges Privatverständnis der von F. M. bitter ausgegebenen Parole Fiat justitia, et pereat mundus schluchzt heute noch die Barmherzigkeit. Der enorme Umfang des redaktionellen Wissens gestattet dem Boten zu sagen : wo Dein Ohr Gerechtigkeit hört oder nahende Gerechtigkeit, die erst noch siegen will, da ist nur Welt und nur das Geräusch der Welt : Preßlufthämmern, Hundgekläff, rödelnde Müllwerker. Nein, keine Gerechtigkeit : auf dem Schachbrett nicht, nicht in den Todestrakts, in den Kolben nicht der Chemiker, nicht im Weltmaßstab, nicht in den Rathäusern. Sei es, daß es sie nicht gibt, sei es, daß es sie gibt, um zu schwach zu sein.
     Und Dein zweites Fähnlein, Wahrheit : na ja. Der Bote gibt da nicht viel zu. Am liebsten hält er sich fern vom Nomen und achtet das Adjektiv, und ihm scheint, er ist da seriöser, gewissenhafter und vornehmer als Du, die du Dich offenkundig nominal eingenistet hast und alle Welt damit beleidigst.
     Ein Gedanke, den der Bote durchaus selbst schon hatte — aber wie um Dir zu zeigen, daß er 1000 Bücher gelesen hat, von Diderot, 1746, in seinen Pensées philosophiques : »Der Gedanke, daß kein Gott sei, hat niemals irgendeinen Menschen erschreckt; wohl aber der Gedanke, daß Gott so sei, wie man ihn uns schildert« Sela.
     Dächte der Bote, es gäb Aussicht auf Erfolg, er sagte Dir : leg mal Deine Kabbala beiseite, die Heilkräuter- und Zaubersteinlexika, den Faust, den Hesse und die altehrwürdigen Fanatikerbriefe an irgendwelche Sekten in Kleinasien. Lies ein gutes Buch. Du wärest die erste, ders schadete. Denn Du bist, bedauerlich, wie jeder Mensch : nicht auserwählt. Und Gott wäre der letzte, der einen Plan mit Dir hätte. Niemand hat das. Der Bote versteht die Welt nicht, täglich, und das heißt eben nicht : Gott verstehen. Ohne Gott auszukommen ist immer ehrlicher als alles, was Du vorbringen könntest. Der Bote wünscht Dir etwas weniger Begreifen von Zusammenhängen, die Du Dir in Deiner Not einbildest. Du torkelst wie ein Tropfen Fett auf dem Tümpel der Schöpfung — um nichts hast du Dich bisher bemüht. Tue so, und Du wirst ehrenhaft kapitulieren dürfen. Bis dahin wünscht er Dir nur Frohes Fest.
     Da der Bote aber die Eingangsbedingung nicht denkt, schweigt er ab hier lieber. Ärgerlich ist er nicht mehr. Gleichsam erleichtert fühlt er sich um der kleinen Improvisation willen, die er schrieb.
     Immerhin sind dem Spektakel nun auch einige Seiten abgerungen und F. M., dem zwanzig Seiten die gebührende Ehre erweisen sollten, hat nur eine Einbuße von knapp 60 % und verdrehter Initialen. »Vergiß im übrigen nie, daß sowohl du wie der Mensch dort binnen kürzester Frist sterben werdet und daß man sich bald darauf nicht mal mehr eurer Namen erinnern wird« — Markus. Belangvoller als Deiner.

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