ALMATASTRASSE

FINK ZUM VIERTEN

oder
Epistula enim erubescit
—                  Non-Cicero


Nachtrag aus den Jahrbüchern der Einsamkeit

     XXX

     Eine handvoll Tode wellensitticht an fetten Antennenfingern und weidet vor den Terrinen für Sputniksignale. Ein Tod und eine Todin — sehr jung das Pärchen wohl noch und fruchtbar — lugen aus dem Taubenschlag der aufgemotzten Kate Baltrumer Weg. Deutlich ausgewachsen hingegen und behende krallt ein anderer Tod zwischen Mönchen und Nonnen, und lochschwarz ist sein Nachbar, der auf dem Parkdeck von Aldi plustert. Hätten sie Namen und ich wüßte die, ich würd vielleicht einen Finger krümmen und sie rufen zu einem frommen tête-à-tête.
     Doch ich hab kaum den Namen für mich selbst.
     Die Gargouilles, alle wie sie da warten und stumm zum Sterben animieren, werfen gelangweilt traurige Blicke ins Rund.
     Ist schon frühlinghaft heiter, so hoch oben, direkt unter lauter knatternden blauen Bändern zu wohnen und die Welt als Spuknapf zu betrachten.
     Ich sag nicht nein
     Ich sag nie nein                      Insprinc haptbandun ! inuar uigandun !
     Der 13. Frimaire des Jahres VIII ! Dann am 20. Mai 1875 die pariser Konvention, verabschiedet von Ingenieuren des Wissens ! Hingebungsvoll — wie alles, was zum Scheitern verurteilt ist — liebe ich die Idee des système métrique décimal, daß nämlich jedes Stoffliche urbar zu machen sei. Was sind verschrobene Maße auf skurrilen Inseln, vigesimal zählende Azteken oder zwölffingrige Regenwaldbarbaren gegen ein anständiges Countdown ?
     Vor meinen Füßen album graecum und zerkokelt kullert das Plastikflaschenwrack rinnsteinern, eine kunststoffgeronnene Miniatur der seligen Challenger, die es einst in einer Skorpionwolke verblühte. Der Hauseingang hingegen, durch den es mich vor Jahresfrist noch in die Wohnung Bergers führte, hat den abendlichen Brandanschlag rußversehrt überlebt. Die kleine Zündelei war, weil Fortuna Düsseldorf ihrer samstäglichen Gewohnheit nachgegangen ist und verloren hat. In sich schlüssig. Wär aber auch gewesen, hätte Fortuna gewonnen.
     Das war ein Freund.
     Ich hatte mit Freund, der konsequenten Kreatur, letzten Monat erstmals das Vergnügen, als wir an den Postbeulen um die frische Bremer Nachrichten, die ein mit Mutter auf 50 Quadratmetern der Symbiose pflegender Finanzbeamter starrsinnig als einziger im Beinhaus hält, rangelten — Kreatur des Sportteils halber, ich halber der Kurse der Bremer Wollkämmerei und der endlich publizierten Sparkassenbilanz. Wie dann zutage trat, begehrte Kreatur mit freundlicher Unterstützung von Schlagring und Krommbacher das Blatt, weil von Kindesbeinen an gewohnt, und ich, weil von kleinauf den Kurier, die marktbeherrschende Alternative. Variatio delectat. Das zwar, aber ich sah kindisch die kindische Wirklichkeit, gab nach und nahm, nach kurzem Wägen, den gegnerischen Standpunkt ein und Stenderhoffs Kurier. Kreatur wars zufrieden, zeigte zwei intakte Zahnleisten und stellte sich vor : »Kein Problem alles gut« Wir plauschten dann Speichelfäden : »Kein Problem alles gut« und ich : »Kein Problem. Alles gut« Privat wirkt K. P. Allesgut zwei über Parterre, ziert sich mit extravagantem Meckischnitt schon seit lange bevor es Tatoos gab und mindestens einem Glasauge, nennt mir Meister und scheint mich eine typische Erscheinung für zweite Stockwerke und Ligen. Ausgang seiner Jugend rüstete Substitut K. P. Allesgut im Dienste der Bremer Lagerhausgesellschaft Gabelstaplern zu. Seither träumt er davon, mal den Hauseingang abzufackeln, den er eigentlich meint, den nämlich des Schweins von Vorarbeiter. Solange darfer aba hier wohnn von Stütze. Fehln tun ihm noch Kinderwagn, Rassl und Frau. Da isser im Moment noch nich so für. Ersdas Horn abstoßn, harhar. »Also ich sach ma : kein Problem alles gut«
     So sei es.
     Meinen Vorwurf muß ich mir gefallen lassen : ich benehme mich wie eine wandelnde Kontaktanzeige : sprech- und hörsüchtig. Dabei kure ich grad : Clemens ist dieser Tage nicht verfügbar. Der Arme hat sein Leben verwirkt und arbeitet rechtswirksam gewordene Tagessätze ab auf den Gütern seiner Großtante in der Grafschaft Hoya. Erster Senat und Geschworene mit beinah bestandener Nichtabiturientenprüfung befanden ihn schuldig des unberechtigten und wiederholten Herumhängens in Teestuben. Noch die Nacht vor der Verhandlung hatten wir einen feinen Rettungsplan ausgeklügelt, aber mich, den Hauptzeugen der Anklage, ließ der Gerichtsdiener nicht in den Saal, hatte ich doch kein Bargeld in der Tasche. Das ist eine Eigenart nackter Männer.
     Wo sind sie hin, die anderthalb Liter brauner Limonade ? Ich strafe das mißratene Behältnis mit einem ausgefeilten Tritt. Gleich neben den stummen Resten der fanaligen Tat Allesguts ein Folgeschaden im Werden : meine Lieblingsstraßenlaterne plinkt eine Messerklinge an. Höhe des Nabels der Leuchte die Scheitel komprimierter Gesellen aus Nahost. Die gedrungenen Libanesen lehnen selbdritt an ihr herum und projektieren die nächste Schutzgelderpressung. Ich drehe ab — bei mir ist nichts zu holen. Ich stehe nicht zur Verfügung.
     Ich weiß noch was, wo nichts zur Verfügung steht — da steh dann nächsten Tag : ich, ein unbarmherziger Paparazzi :

     XXXI

     am Hillmannplatz am Bargeldautomaten : ein Desparater lungert und fummelt und tut als lägs an allem Möglichen, daß sich kein Geld aus der Wand spuckt, nur daran nicht, daß ihm keins zukommt. He, Kerl, gib auf, laß dein Herz voll werden mit Dankbarkeit, daß dein Vater verzichtet, seine Wünsche ins Wirkliche zu setzen. Leicht wärs ihm, auf Wolken der Welt zu künden : KEINE APANAGE MEHR FÜR DEN DA , ÜBERGEORDNETE MÄCHTE SIND SEINER UND SEINER NUTZLOSIGKEIT MÜDE GEWORDEN. MEIN HOFTROSS HAT SICH BESCHWERT : ER WOLLTE ENTRÜMPELT WERDEN. UND ICH WILLFUHR DEN NIEDRIGSTEN DER GESELLEN. ODER HAB ICH DEN DA SCHLICHTWEG VERGESSEN ? VIELLEICHT NUR DIESMAL ? VIELLEICHT GAR BEREUE ICH SCHON LÄNGST ? IHR VÖLKER UND BAHNHOFSVORPLATZPASSANTEN, LEST DIE SCHRIFT VON JÖRG JEREMIAS : DIE REUE GOTTES — ASPEKTE ALTTESTAMENTLICHER GOTTESVORSTELLUNG. Hei, wie lustigs Närrlein am Ohrring zupft. Füße tappt. Knöchel wilde Rhythmen an Gürtelschnallen trommeln läßt. Und es spielend Gleichgewicht hält während es lässig das Standbein wechselt und Schuppen kratzt, Augen reibt, Stirnfalten nachzieht. Und nun Gelassenheit, sehr gut, Fäuste ins Gehüft gestemmt : das ganze Repertoire. Frißt der Robot die Karte nicht, was ? Glasfaserleitung nach Hamburg gestört, wie ? Geheimnummer entfallen ? Ja, und wo sind die denn hin, die goldenen Brücken der Esel ? Oder will ein neuer Gipfel der Hintertriebenheit den Anschein erwecken, das Publikum werde hinters Licht geführt, erliege der Feldstudie eines Soziologen ? Psychologen ? Eines Empirischen Kulturwissenschaftlers gar ? Aut vel : deutet der Ohrring auf Mittäterschaft in einer der schmerzbereitendsten und grauenmachendsten kriminellen Vereinigungen, die — neben der katholischen Kirche — nur ausdenkbar : einer Freien Theatergruppe ?
     Ich mag nichts entscheiden.
     Im Appendix vom Kasper sammelt sich Entsatz. Heut ist der weder blind noch sonstwie behindert, sondern zweifelsfrei der offizielle Gesandte der Gilde der Betretenen, ein Revenant, der Stillverzweifelte von vorgestern. Vielleicht auch gestern. Da war ich aber nicht dagewesen. Demütig sieht er zu Füßen des verebbenden Gerieres, mit dem Kasper langsam das öffentliche Eingeständnis der Vergeblichkeit seiner Bemühungen einleitet. Dann endlich steht Herr Revenant da, eilig selbst zu scheitern, ein flüchtiger Gast geneigten Genicks an den Stätten der Entscheidung. Verweile doch, du bist so schön.
     Ums Eck Verwandte : deutsch Rasierte kauern beim prima Würfelspiel. Menschen, so viele Falschnamen wie Narben auf der Backe. Da jucken sich welche Keimdrüsen und kräuseln das schwarze Haupthaar. Haldol, frisches Haldol. Welche auch bespucken leidenschaftlich Fußwege. Ich guck ungerührt das graue Treiben an. Mein Führungsoffizier wird heut eh nichts kaufen wollen.
     Später wird selbst mir ein Regen zu indezent. Zersplittert liegen Wasser in den Wallanlagen und sind bösartig. Es ist so laut, daß kein Schrei von Verzweiflung und Widerstand hörbar wär. Ausgesprochenes Wetter mag ich nicht. Keines. Zufall ist der Schnittpunkt eines Ereignisses.

     XXXII

     Überall Versehrte und senile Halskrausenträger, paar Kilo lose Quergeschnittenes zugebaut und befestigt von Teilen, die ein zauberhaftes elektronenzirpendes Zusammenspiel entfalten — und dann bewegt sich was. Schwieriger, als verwucherte Papamobile zu erdenken, muß deren Taufe sein. Teufel, wie heißt sowas ? Ich steh, Mandelmagnum unter die linke Achsel geklemmt, an der Kasse, versuche Akronyme zu lesen aus den Zigarettenmarken, deren Etiketten auf einem stahlummantelten Kasten kleben. Dieser Markt ist fortschrittlich, speerspitzlich : Ausgabe nur noch über einen Knopf unter Hoheit des Kassiers. Schließlich suche ich Schatzkarten in der Maserung des Bodens, damit mein Auge das Defilee batteriebetriebener Siechthümer vor mir nicht abnehmen muß. Das Volksvermögen befindet sich in den Händen nicht der oberen Zehntausend, sondern der Gehhilfewesen. Mal eines, ja gut, aber in Häufung ? Und Krüppelbetriebsausflug zur Ladenkasse ?
     Nachbarschaftshilfe find ich gut. Lieber aber noch als gute Freundschaft hab ich strenge Rechnung. Drei abgelaufene Joghurts aus drei verschiedenen Börsen bezahlt, Typus marasmus senilis, gebadet mit schlesischem Odeur und begabt mit der jettatura : eine Unzahl Münzen plörrt aufs Laufband — das Portjuchhe bleibt am Leib. Das sind die, die erschlagen aus hafa-Zelten treten, die Zäune basteln, selbst wenn man ihnen nicht sagt : Mach Zaun. Und dann die Bons, umständliche Dokumente der Redlichkeit in erregungslos zitternden Händen.
     Bei den Gurken deutet der einbeinige SS-Offizier gichtig lachend auf das inoperable Wanderschrapnell in seinem Rücken und keckert : »Sportverletzung« Mit viel Zeit zum Überlegen disponiere ich kurzfristig um, stehl eine Slipeinlage und zahle das Eis.
     Dann Kastenwagen Elektro-Jansen, BMW mit Schnauzbart in feinem Tuch, Autos auf Bürgersteigen. Ein Fahrrad marodiert, buckelt Expressgut, schneidiger Stil, halbeierner Sturzhelm. Einzelhändler klagen und grüßen in Bauchschürzen, nochmal Autos : nun stoßen die aus Einbahnstraßen und blocken meinen Gang, grimmig-dumme Bremsen in Kniescheibenhöhe, scheuchen lassen die sich nicht, dafür leuchtraketen Kippen glühend aufs Trottoir. Eine eisige Faust, die an einem längstvergessenen Gesicht hängt, eine Rama-Ausgeburt mit Interesse an bildender Kunst und ständig wehen Weisheitszähnen, packt mich von hinten und ich schweige : Ah, wenn man vom Teufel spricht

     XXXIII

    Guten Morgen Meßmer ! spiralt ein Gesang und erklärt näher : Gibt jeden Tag Gründe, sich neu zu freun und zu hause zu sein
     Nennet mir einen, ihr, die ich zuschanden gemacht zu wissen begehre.
     Wer hier zapft, der weiß bescheid, kennt sein Handwerk, nimmt sich Zeit ... wer hier schenkt, der liebt das Beste, Land und Leute seine Gäste ... wer hier einkehrt, kennt sich aus, ist willkommen, ist zu haus ... Wir führen Gutes im Schilde Die eklig schmeichelnde Stimme gehört auch nur einem Wurm, der sich sein Frühstück verdienen will. Aber womöglich will ers im eigenen Garten nehmen ? Ich bin nicht mehr motiviert, nachsichtig zu sein.
     Nämlich habe ich eine Allianz mit dem Hunger geschlossen. Und bin zufrieden. Er ist ein mächtiger Verbündeter. Beim ersten Schritt in den jungen Morgen bin ich umgeknickt und hab mir den Knöchel verstaucht. Vorräte Nahrung hatte ich nie. Ich schleppe mich aufs Dach zu den Pechnasen, peter-hillehaft mein Bart, ein großer Lump schreitet durch die Himmel
     Wie stehts draußen ? ... als ob die Erdachse pulst und schwillt und hitzewallt die Luft ... immer noch die Tode von gestern. Einer klammerafft jetzt an Bergers Regenrohr und sitzt vor seinem Aas, treibt schwunghaften Schacher mit Gott, schiebt Schicksaljetons hin und her und denkt sich : ihr werdet sterben, genau wie die Gesunden. Dann schmeißt er Bonschen. Ich pflücke einen
     Es immer nur zu Anfängen bringen, elenden Anfängen und irgendwann zur Summe ziehen. Schopenhauer nörgelt im Quartanten, 1826 : »Die Träume, von denen Hamlet redet, welche im Todesschlaf kommen möchten, — wollt ihr sie kennen lernen ? — Blickt um euch ! unsre jetzige Existenz, diese Welt, dieses Leben; das sind jene Träume«
     Wenn ich mir was wünschen dürfte, ich wünschte mir einen kleinen Willen

     XXXIV

ich laufe durchs Leben, als malte ich Pro-Schuschnigg-Parolen

     Allerlei fällt in meine Zahn- und Gedächtnislücken : TikTaks, dritte Lieben — und so manche Leerstelle selbst. Stumpf ist, was in meinem Kopf spielt, und doch schmecke ich täglich aus dem brachen Denk- und Empfindungsalete etwas Beißendes — unbarmherzig, unverklärt. Unerklärt. Meine Artgenossen erhöht oder erniedrigt, was ihnen vor die Flinte ihrer Wahrnehmung kommt, zu einer Form des Lebendigen : mir sinds lauter betätigte Space-Tasten, Vakanzen, überzogen mit dem Natreen des Tatsächlichen. Soll immer Schlagsahne im Haus sein, TollImPreis soll sie sein und bei Comet zu haben, 69 Pfennige kosten, ultrahocherhitzt bei 30 % Fett : für den Fall, daß du doch noch einmal zu mir findest. Aberwitzige Zeit pflege ich diese Narretei. Inzwischen lebe ich ohne Kühlschrank. Zumindest ohne einen, der kühlt. Manchmal kniee ich nachts vor dem offenen Fenster, betaste den kalten Heizkörper, vergesse die Namen der Sterne und erkundige mich besorgt bei der Dose Bärenmarke, die auf dem ausgemergelten Torf eines vergessenen Blumenkastens nistet, nach dem werten Befinden. Na Süßer, wieder ein Jahr vorbei ? fragt sie und deutet mir mein Elend aus : Ce que femme veut, Dieu le veut. Die wichtigen Seiten im Buch des Lebens haben alle eine Eigenschaft : sie fehlen.
     Dritter September 1343 a.u.c. — varronische Rechnung —, 58 Jahre, nachdem der Scythiaminore Dionysius Exiguus in seiner römischen Klause aufschrak ... nämlich erblickte das Mönchlein in der Finsternis ein bläulich blinkendes Desiderat, das rief es und hieß es Erbsen zählen. Spontan verfiel Dionysius ins Ostertafelerrechnen, entdeckte dabei die christliche Zeit und haute nur um vier fünf Jahre daneben ... dritter September 1343 a.u.c., ein knappes Menschenalter später : Gregors Jungfernpredigt als Papst, eine Leichenrede auf Rom :
Unser Herr will uns bereit finden und zeigt uns das Elend der ergrauten Welt, damit wir uns von der Liebe zu ihr abwenden. Ihr sahet, wie viele Stürme ihrem nahen Untergange vorausgegangen sind; wenn wir Gott nicht in Ruhe schauen wollen, so sollen wir sein nahendes Gericht unter schrecklichen Plagen fürchten lernen. Dem Abschnitt des Evangeliums, den ihr eben höret, hat der Herr dies vorangeschickt : ein Volk wird sich über das andere erheben, und ein Reich über das andere, und es werden Erdbeben, Hungersnot und Pest, Schrecknisse und große Zeichen vom Himmel geschehen. Von all diesemsehen wir einiges bereits eingetroffen, und das Herannahen des andern fürchten wir. Denn daß Volk über Volk aufsteigt und die Länder mit Angst bezwingt, davon haben wir wohl mehr in unseren Zeiten gesehen, als in der Schrift zu lesen ist. Daß Erdbeben unzählige Städte vertilgen, habt ihr aus anderen Weltteilen zu oft vernommen; wir aber leiden Pestilenz ohne Ende. Freilich Zeichen an Sonne, Mond und Sternen erkennen wir noch nicht, aber daß auch diese nahe sind, schließen wir aus der Veränderung der Luft. Auch sahen wir ja, ehe Italien dem Schwert der Langobarden überantwortet wurde, feurige Schwerter am Himmel, die vom Blut des Menschengeschlechts gerötet waren, welches gleich darauf verströmt worden ist. Wachet fleißig ob der Abwehr; wer Gott liebt, soll über der Welt Ende jauchzen; die darum trauern, sind solche, welche mit dem Herzen in der Liebe zu ihr wurzeln und weder nach dem künftigen Leben verlangen, noch dieses ahnen. Alle Tage wird die Welt von neuen Plagen heimgesucht; ihr seht, wie wenige von jenem zahllosen Volk übriggeblieben sind, und doch geißeln uns täglich neue Leiden, und werfen uns unvorhergesehene Schläge zu Boden. Die Welt wird alt und grau und durch ein Meer des Jammers zum nahen Tode gleichsam hingedrängt

     XXXV

     Hintergrunds röchelt ein Film verockerte Farben, ~ 1970, die Raumschiff-Orion-Generation, Dekor im Versandhausfutur, Phototapeten, was man sich reicht, wonach man fragt : sind Drinks — in dickkubistischem Kristall, die Hosen mit Schlag, darüber Monika-Peitsch-Gesichter; röche es, es röche deklariert abgestanden, miefig und ungewaschen, wie die fiesen speedigen Orgelklänge Filmmusik. Es hebt an die Feier von Clemensens Wiederkehr bei zweimal anderthalb Litern Cola — die Absurdität des Volumens hatte dann doch überzeugt. Clemens versucht auch gleich, die Kuh vom Eis zu holen :
    »Guck mal, schicke Autos ! Und da, das Pummel, der realistische Drogenabhängige, der schreit Mach mich tot !, Mach mich tot ! Mach mich tot — der hat Nerven, was ?« Nun fällt aus einer Talkshow ein schöner Satz : »Wir sollten ja eigentlich ... aber das ist ja auch unwichtig«
     Ein Täter huscht über eine Landesgrenze, eine Kamera helikoppt über ihm und ich verhafte die üblichen Verdächtigen. Jean Paul sagt, Verzweiflung sei der einzig echte Atheismus. Oder sagte er : Junge, mach es wie der da : Rasur überprüfen und n Offroader gewinnen ?
     Kirchenlehrer, Heiliger, erster Mönch auf dem STUHL. Auch wenn Mommsen, wie jeder Gebildete, was gegen Gregor hatte — er nannte ihn einen recht kleinen großen Mann : Gregor war schon o.k. Mein Schutzpatron.
     Rom am Tiefpunkt hatte in Gregor den angemessenen Papst, einen albernen und schriftstellernden Gemeinplatzborn, der stolz keinerlei Spur antiker Bildung mehr aufwies und mit dem Hinweis, der heilige Geist sei nicht an die Regeln der Grammatik gebunden, den korrekten Gebrauch sprachlicher Systeme ablehnte. Die Kaiserliche Bibliothek des Palatin hat Gregor zündeln lassen, wie der unverdächtige Zeuge Johannes von Salisbury berichtet, so daß wir heute von den 142 Büchern des Titus Livius nur knapp ein Viertel lesen können. Eine Vorabparaphrase des Epigonen Omar, der erst 80 Jahre später seinen Satz zum Thema hat sagen dürfen. Ich revidiere meine Schmähung der Securitate.
     Gregor, ehmals Erster Beamter der Stadt Rom, flehte zum Vater seiner Patenkinder, dem oströmischen Kaiser hin, der möge seine Wahl zum Apostolat nicht bestätigen. Doch findige Römer fingen den Boten ab. Ja, sie kannten ihren Gregor und besetzten die Stadttore mit Wachen. Nicht faul, versteckte sich Gregor in einem Weidenkorb und ließ sich von Kaufleuten aus der Stadt schmuggeln. So eitel, nichtsnutz er auch war — Papst wollte er wohl wirklich nicht werden. Geschickt hielt Gregor sich zwar verborgen und in der duftenden Erde des Waldes begraben, doch ist das garnichts gegen die Kraft dreitägigen Gebets und Fastens seitens Ganzroms und eines unergründlichen Ratschlusses seitens Ganzgottes. Vollstreckend sirrte irgendwo eine Taube, winselte ein verzücktes Wildschwein oder wankte eine Lichtsäule oder eine Roulade mit Flügeln denunzierte pausbäckig : und das stumpfe Kirchenvolk ertrüffelte Gregor und trug ihn im Triumph auf den Papststuhl zurück, wo er sich der drohenden Weihe zum Haupt der Freunde des ans Holz Geschlagenen nicht mehr entziehen konnte.
     Ich hingegen saß am Bahndamm und weinte — wie Clemens behauptete, als er mich fand — ruminierend, wie er meinte. Dabei lernte ich nur Gregors Auslegung des Evangelisten Lucas Einundzwanzigzehn auswendig. Welcher Natur mag das Licht gewesen sein, das Clemens leitete ? Das Licht verbrennender Schuldscheine ?
     Diese Gemeinheit, die einen Vers zuvor steht : Aber das Ende kommt noch nicht sofort. Ätschmann.

     XXXVI

     Gregor entbetete Trajan der Hölle und bekam die Auflage, sowas nur ja nie wieder zu tun. Patzig preßte er einen zweiten Verdammten frei. Strafe muß sein. Das wissen kränkelnde Gelübdebrecher, Posträuber in Lateinamerika, renitente Gottessöhne. Gregor durfte wählen : zwei Tage Fegefeuer oder ein Leben in Gebrechen und Schmerz. Gregor wählte letzteres. Was eitel ! was süffisant ! denn damit liegt mehr vor als mit der wunderhübschen Davidperikope, die hauptsächlich besticht wegen der Parallelüberlieferung, dank derer erst die Anstifter, das Hanni-Nanni-Gespann des Alten Bundes, Jahwe und Satan, austauschbar werden. Für seine Volkszählung hatte David zu entrichten in bar : entweder sieben Jahre Hungersnot im Land, drei Monate persönliche Flucht vor persönlichen Widersachern oder drei Tage Pest für alle. Und David wählte königlich das Kostenintensivste. Siebzigtausend Fromme starben; erst als die Seuche vor Jerusalem auftauchte, sprach Jahwe Bedauern aus und übte Schonung. Seine geliebte Stadt. Ein Gott, wie wir ihn mögen. Na was solls. Ich wähle ein Leben in Tran.
     Ein Kumpel Gregors erweckte versehentlich Tote — vorsätzlich wärs ihm unmöglich gewesen, übergroßer Demut halber. Seltsame Blüten der grünen Blume des Neides. Daß nur mich niemand weckt.
     Mein Knöchel schwillt ab, ich genese. Weichet von mir, Wasserspeier !
     Ich könnt gut sterben jetzt, etwa in der Lloyd-Passage, unter Leuten, die Schläfe an ein Stahlgerüst oder Urinal gelehnt. Loslassen muß sein wie Wasserlassen.
     Ich, im Traum, ausgestattet mit Uzzi und Veteranenstatus, appliziere Genickschüsse Hundehabern, Flötern, Mücken und allen Menschen mit Sprachfehler. Dann schreit irgendwo ein Wecker um sein Leben und die Wirklichkeit betreibt wieder ihre verfluchte Appeasment-Politik.
     Plaudite amici, comoedia finita est

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