Sensation : Kafka-Erzählung neu geschrieben

[Das Leihhaus]

    ...-als-K.-das Kontor verließ. Wegen eines dringlichen Vorganges, den der Vorsteher allein ihm anvertrauen konnte oder durfte, hatte er bis weit nach Dienstschluß arbeiten müssen. Zu dieser ungewohnt späten Stunde lag die Gasse wie ausgestorben da. Ein heftiger Wind hatte eine feine Schneedecke aufs Pflaster geweht. Darunter, vermutete K., ohne es aber wirklich zu wissen, mußte sich bereits eine dünne Eisschicht befinden. Wenn jemand, ein zufälliger Passant etwa, K. an diesem Abend auf dem Heimweg beobachtet hätte (was jedoch niemand tat) — dann hätte dieser K.´s achtsame Schritte, dicht an den Hauswänden entlang, vielleicht als zögerlich beschrieben.
     K.´s Wirtin liebte die Ordnung Sauberkeit, so daß K., endlich in der W.-Straße angekommen, einige Sorgfalt darauf verwandte, seine Stiefel an dem Rost im Hauseingang zu reinigen. Ein beiläufiger Blick auf die goldene Taschenuhr (übrigens der einzige ihm verbliebene Gegenstand aus dem Nachlaß seines Vaters), zeigte ihm, daß er für den Weg nur eine Viertelstunde mehr als üblich gebraucht hatte. K. war es länger erschienen.
     Die Wärme im Hausflur ließ K.´s Brille beschlagen und machte ihn, so kam es ihm jedenfalls vor, ein wenig benommen. Müde zog K. den schweren Mantel aus und suchte in seiner Westentasche nach dem Wohnungsschlüssel. Dann schloß er die Tür zu seiner Wohnung auf, drückte die Klinke nieder und stemmte sich gleichzeitig gegen die verzogene Türfüllung. Doch die Tür ließ sich nicht öffnen.
     Verwirrt trat K. einen Schritt zurück. Für einen Augenblick wußte er nicht, was er denken sollte. Was war geschehen ? War dies etwa das falsche Haus, die falsche Wohnung ? K. versuchte es erneut. Der Schlüssel paßte, aber die Tür blieb versperrt. Er nahm die Brille ab und blinzelte. Kein Zweifel, sein Name stand auf dem Messingschild. Jetzt erst fiel K. ein mächtiger Eisenriegel auf, der die Tür fest verschlossen hielt. War diese Vorrichtung neu angebracht worden oder hatte K. sie jahrelang übersehen, vielleicht, weil sie niemals in Gebrauch gewesen war oder aus anderen Gründen, auf die weder K. noch sonst jemand Einfluß gehabt hatte ?
     In Aus Mit In einem Anflug von Entschlossenheit klopfte K. bei seiner Wirtin im Parterre, um sie zur Rede zu stellen und seine Lage zu klären. Es konnte sich ja nur um ein Mißverständnis handeln, hatte er doch seine Miete regelmäßig entrichtet und die Hausordnung gewissenhaft befolgt.
     
K. hatte kaum den Klopfer berührt, als sich bereits die schnarrende Stimme der Wirtin hinter der geschlossenen Tür vernehmen ließ. Es schien ihm, als sei das Klopfen gar nicht nötig gewesen, als hätte die Wirtin ihn längst erwartet. »Was wollen S´, Herr Kontorist ?«
     Er sei ausgesperrt, sagte K., und wolle wissen, warum. »Als ob Sie´s nicht genau wüßten, tun´S doch nicht so, Herr Kontorist !«
     Gar nichts wisse er, beteuerte K., und noch einmal, gar nichts, nun lauter werdend, denn er befürchtete, die Wirtin könne ihn nicht verstanden haben. Auch wollte er endlich in seine Wohnung, obwohl ihm in seiner Hoffnungslosigkeit, die sich mittlerweile eingestellt hatte, die Möglichkeit, noch einmal dorthin zu gelangen, schon jetzt fast unmöglich vorkam. »Erzählen S´ nichts. Ich habe genug von Ihnen und ihresgleichen !« »Aber der Riegel !« rief K. verzweifelt. »Alle Wohnungen haben Riegel, als ob Sie´s nicht genau wüßten. Stellen S´ sich nicht dumm und verschwinden S´ !« Ob sie mehr Geld wolle, fragte K., sich mühsam beherrschend. Die Wirtin antwortete nicht mehr. K. ahnte aber, daß sie noch hinter ihrer Tür geblieben war. Vielleicht war es der letzte Satz gewesen, auf den sie hinausgewollt hatte. K. wurde sich dessen immer sicherer. Er werde es bringen, gleich morgen früh werde er es bringen, sagte er aufs geratewohl, schon zum Gehen gewandt, in das Dunkel des Hausflurs hinein.

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