Worte über Weimar II

Karl August lachte : »Laßt den alten Esel in Ruhe !«

     Redaktion ist sich all ihrer Bringschulden bewußt. Eine wird nun eingelöst. Es geht um eine Geschichte, »die weniger an sich Interesse hat, als weil sie in Deutschland und England in einer sehr abgeschmackten und sehr kränkenden Form verbreitet ist. G o e t h e   s o l l   e i n e   S t a n g e   G o l d   g e s t o h l e n   h a b e n. Als ich das zum ersten Mal hörte, allen Ernstes als eine Thatsache erzählen hörte, die bewiesen werden könne, erklärte ich es — der Leser kann denken, mit welcher Indignation — schlechthin für unmöglich und verlangte den Beweis; obschon der Beweis freilich überwältigend hätte sein müssen, ehe ich so etwas von Goethe glaubte. Indeß, der Beweis blieb aus. Schon hatte ich die Sache ganz vergessen, als sie mir noch einmal vorgebracht wurde und noch dazu in Weimar. Da stellte ich die nöthigen Nachforschungen an und fand, daß der Klatsch auf folgender Grundlage beruhe. Der Kaiser von Rußland hatte für den berühmten Chemiker Döbereiner eine große Platinastufe nach Weimar geschickt. Sie wurde an Goethe gegeben, der sie prüfen, Versuche daran machen und sie dann nach Jena an Döbereiner schicken sollte. Goethe, der für Mineralien bekanntlich eine wahre Leidenschaft hatte, stellte die Stufe zu seinen liebsten mineralogischen Schätzen, freute sich an ihrer Betrachtung und konnte sich endlich nicht mehr davon trennen, Döbereiner wurde ungeduldig und schrieb ihm darum. Keine Antwort. Er schrieb wieder; abermals vergebens. Es ging ihm wie einst dem Professor Büttner mit seinen Prismen und optischen Instrumenten, die er auch von Goethe nicht wiederbekommen hatte. Goethe verschob die Absendung weiter und weiter; endlich verlor Döbereiner die Geduld und beschwerte sich beim Großherzog. Karl August lachte : ›Laßt den alten Esel in Ruhe ! Ihr bekommt´s doch nie von ihm. Ich will den Kaiser um eine andere Platinastufe bitten‹
     Hierher gehört auch daß Goethe in seiner ersten weimarschen Zeit hundert Stiche von Albrecht Dürer aus Knebels Sammlung entnahm, um sie zu Hause mit Muße zu studiren, und daß sie Knebel nie wieder zu sehen bekam. Nun war dergleichen zwar in der Genieperiode ganz gewöhnlich, wo man alles mögliche von einander lieh und ans Zurückgeben nie dachte, und auch heute noch giebt es Leute genug, die im Behalten geborgter Bücher, Regenschirme u. dgl. ein gar weites Gewissen haben; aber zu rechtfertigen ist es doch nicht, und ich will´s nicht entschuldigen. Mag der Leser daher über solche Leichtfertigkeiten so strenge urtheilen, wie es ihm gut scheint; nur verschone man uns künftig mit Geschichten wie die, Goethe habe ein Stück Gold oder eine Platinastufe gestohlen« Das endlich ist die vermißte Stelle aus G. H. Lewes Goethe´s Leben und Werke. Die elfte Auflage des zweiten Bandes, Stuttgart 1877, die Seiten 504 ff. Schön auch das Motto, ein echter Jung Stilling : »Goethe´s Herz, das nur wenige kannten, war so groß, wie sein Verstand, den alle kannten«

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