Hans B. Hansen

in den laternen
des alphabets

I

mondgewitter auf dem stein des grauen weisen wächst moos wer sieht was nicht zu verstehen ist wo zerlumpt im blattwerk einst der vagabund schlief da steht mein haus und es klettern vom saume der gardinen zwerge und lichtgeister auf zwei bettpfosten verneigen gnome sich mit schwarzen hüten grüßend sogleich stapft er hervor im grünen beinkleid : merlin sein buntgesticktes käpplein und schuhe aus feinstem leder merlin er flicht sein silbergarn mir ins haar und wispert : du erzähl uns was

II

rankender efeu addiert sich von blatt zu blatt ich lese im holz der bäume und es ist der mond der die unerschütterliche stille im gestein belauscht sage was deutet die geometrie der taukristalle wenn ich den geist des himmels befrage so errötet der schüttere märchenwald und fledermäuse ziehen unsichtbare linien von baum zu baum

III

mit den uralten fühlern einer schnecke orten vögel meckern ironisch mich durchwandert das frühlicht es häkelt waldreben in den maschendraht der noch feuchte erdgeruch es riecht nach sternbalds reiselust und buchstaben modern im unterholz die zeitung das pornographische foto naß zerknüllt niemand aber sieht die kröte ihr stampfendes herz wer glaubt noch an märchen wer weiß ob feuerlicht oder säure jedenfalls farne welk verbranntes gras und jetzt das anheben der weißen glut über baumfragmente knöchern bleich westwärts noch mehr geröll glassplitter

IV

wenn in den böhmischen dörfern der quell des geistes zu glas erstarrt wenn kein kiebitz mehr dem runenwald entfliegt so nehme auch ich meinen reisehut und wandere den wolken entgegen gärten aus dunst und traum bis ans meer wo die nacht mir kalt in den rücken fällt und das verstummen endlich seinen schlaf findet

V

der große geist schwebt himmelleicht und erdenleer wer träumt auf einer nebelbank wer malt sich sein leben aus wo offen steht das gartentor führt kein weg nur zwei vögel starren in die luft es tropft vom spröden holz es fegt der besen den hof auf den steinen klebt die schrift gelber bambusblätter und es steigt auf die seele einer mücke hier im gras im nebel im nichts der duft nach tau nach tao guter weißer alltag

VI

vom zwiebelgebirge die mönche stapfen im gänsemarsch so mancher schädel ist eine bittere melone so mancher kaut den kern um nichts und wieder nichts wie dem einen juckts im ohr so dem anderen räuchert der nimbus der hat den kopf im verstand jener dreht däumchen ho ho ho des meisters gespaltene zunge des meisters ton vom zwiebelgebirge die mönche stapfen der windige geist in ihren kutten der geistige wind über den wassern und es gehen ra rah krah voran die gänse

VII

im leeren zimmer sitzen und auf nichts warten ein sanftes ruhen es summt im skelett der geist atmet in den meridianen was hat mich belehrt und was splittert das einmaleins meiner tage wo die stille donnert jetzt wo mit offenen augen ich nichts verstehe wo ich mich vor der leere einer leeren schale verneige und verstockt der besen in der ecke steht so ist es nicht ich nicht du nur die anwesenheit der sonne im leeren zimmer

VIII

spitzwegerisches idyll ein stifter grüner meisenkästen : waldemar wucknitz der alte der vogelstimmenimitator er wandert auf schusters rappen er huscht zwischen hohen taxushecken wenn auch hutlos so doch stets den schirm geschultert ein jäger schießender augenzwillinge ein sammler bizarrer grillen so nah beieinander sprießen löwenzahn und honiggras es ist sommer nocheinmal umranken des efeus dunkle herzen meine schülertage einmal noch sauge ich vom traumsaft süß versponnener kokone indes mit noten & händen er am klavier ringt & swingt

IX

hinter den grauen bärten der nebelküste rauscht es rauscht mir in der ohrmuschel rauscht im schädel o horn muschelhorn ferner echos aus meinem augengrau tauchen delphine hervor unter mir veralgen apokryphe schriftzeichen in der tiefseestille tiefer noch ankert das gerippe einer galeere umgarnt von korallen umschwärmt von gestaffelten fischen von trompetenfischen dazwischen die schenkel der backfische lüstern fischeln ich aber reite auf dem delphin reite hinauf dem mond ins grinsemaul von des fisches flossen beflügelt auf des vogels gefieder gezügelt so flattern wir über den wassern kein kompaß zeigt landstriche vor denen seesterne zu inseln ergrünen über unbewohnte gestade türme verlassen winzig wie leuchtkäfer so himmlisch ein hans guck in den lüften bin ich ein gespenst in der milchstraße wo spiralende spermien meine zweite zeugung erwarten

X

donnerwetter : gottes magnesiumblitz verzischt eine fehlzündung sechs meditierende pappeln atmen auf sogleich fällt regen in die kulisse es knistert die landschaft sie zittert fadenscheinig im sprühlicht die luft riecht nach petersilie unter dem schiefen scheunentor wartet jemand neben dem fahrrad dieser rauschende dieser berauschende regen in den pappeln ist wie ein betrunkenes orchester während der stummfilm hier zum stehen kommt

XI

guten morgen der fundevogel putzt seinen wams zwei käfer käfern und vor meinen augen falten blumen ihre gelben röcke auseinander staunend hält eine spinne inne dann fädelt sie fleißig neues garn es ist sommer gestern war ich ein erfinder winziger welten nun segnet pater brown incognito seinen garten eden behext vom charisma umschwirren die mücken des paters hut anderswo erscheint baron von weißenfels im laubengang eine metaphysische stille grünt ihm voraus und immerzu hält der engel seinen steinernen finger an die lippen

XII

sieh : diese see seelenlandschaft schilf und binsenweisheit aus nervengewächsen platzen giftige samen libellen stehen im geflimmer ich habe mich gehäutet im inneren des geistes dort splittert die logik und hier erwartet mich der verrückte stein am schuh umgeben bin ich nachts von den wassern ich rudere gemächlich durchs gewölk ich rudere ostwärts : neue chimaren umschauern mich zwischen buchstaben und reflexen über den wassern

XIII

avantgardist der vogelmops er jubelt aus dem effeff hier gockelt rot der feder kamm dort doktorn emsig oben im nest aus licht von gras durchflochten anderswo ob luftikuß ob gelber schnabel allerlei verlockendes im geäst ob gevögelt oder vogelfrei wer jodelt der hat noch nicht gesungen stets hütet ein jeder vogel seinen wahren vogel aber nicht du noch ich fliegen durch diese lieder : leicht leichter am erleuchtetsten aller sonnen tage hoch im laubversteck vielleicht dem paradies einen flügelschlag näher

***