Worte
über Weimar

20. März 1824


     »Ich bin Tiecken herzlich gut und er ist auch im ganzen sehr gut gegen mich gesinnt; allein es ist in seinem Verhältnis zu mir doch etwas, wie es nicht sein sollte. Und zwar bin ich daran nicht schuld, und er ist es auch nicht, sondern es hat seine Ursachen anderer Art.
Als nämlich die Schlegel anfingen bedeutend zu werden, war ich ihnen zu mächtig, und um mich zu balanzieren, mußten sie sich nach einem Talent umsehen, das sie mir entgegenstellten. Ein solches fanden sie in Tieck, und damit er mir gegenüber in den Augen des Publikums genugsam bedeutend erscheine, so mußten sie mehr aus ihm machen, als er war. Dieses schadete unserem Verhältnis; denn Tieck kam dadurch zu mir, ohne es sich eigentlich bewußt zu werden, in eine schiefe Stellung.
     Tieck ist ein Talent von hoher Bedeutung, und es kann seine außerordentlichen Verdienste niemand besser erkennen als ich selber; allein, wenn man ihn über ihn selbst erheben und mir gleichstellen will, so ist man im Irrtum. Ich kann dieses gerade heraussagen, denn was geht es mich an, ich habe mich nicht gemacht. Es wäre ebenso, wenn ich mich mit S h a k e s p e a r e vergleichen wollte, der sich auch nicht gemacht hat, und der doch ein Wesen höherer Art ist, zu dem ich hinaufblicke und das ich zu verehren habe.«
     Göthe war diesen Abend besonders kräftig, heiter und aufgelegt. Er holte ein Manuskript gedruckter Gedichte herbei, woraus er mir vorlas. Es war ein Genuß ganz einziger Art, ihm zuzuhören, denn nicht allein, daß die originelle Kraft und Frische der Gedichte mich in hohem Grade anregte, sondern Göthe zeigte sich auch beim Vorlesen von einer mir bisher unbekannten, höchst bedeutenden Seite. Welche Mannigfaltigkeit und Kraft der Stimme ! Welcher Ausdruck und welches Leben des großen Gesichtes voller Falten ! Und welche Augen ! —

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